„bewusst+sein“. Videoreihe über Diversitätsentwicklung
- 11. KupoBuko
In der Webvideo-Reihe „bewusst+sein“ spricht Mirrianne Mahn, Referentin für Diversitätsentwicklung im Kinder- und Jugendtheaterzentrum in der Bundesrepublik Deutschland (KJTZ) in Frankfurt am Main, mit Kolleg*innen über zentrale Fragen zum Thema Diversität und gibt praktische Tipps für deren Entwicklung. Diese beziehen sich jedoch nicht nur auf das Feld des Kinder- und Jugendtheaters, sondern dürften für viele Kultureinrichtungen und -akteur*innen interessant sein, die sich mit Diversität als gesellschaftlichem Transformationsprozess beschäftigen.
Für Mahn ist eine Sache ganz klar: Man kann nicht über Diversität sprechen, ohne auch über Diskriminierung zu sprechen, beide sind aus ihrer Sicht untrennbar miteinander verbunden. Sie definiert Diversität als diskriminierungskritische Praxis.
»Strukturelle Diskriminierung ist nämlich der Top Grund für fehlende Diversität. Und fehlende Diversität ist der einzige Grund, warum wir über Diversitätsentwicklung sprechen müssen.«
Beim Kinder- und Jugendtheater erfahren bestimmte Menschen beim Zugang zu Ausbildung, Arbeitsstellen und Engagement Diskriminierung. Dies spiegele sich in den Inszenierungen, den Teams und den Strukturen wider, sagt Mahn in der ersten Folge der Video-Reihe.
Diverses Publikum im Kinder- und Jugendtheater
Das Kinder- und Jugendtheater, Mahns Arbeitsfeld, hat zum Teil mit widrigen Umständen zu kämpfen. Es ist finanziell nicht so gut ausgestattet wie das Erwachsenentheater und meist nur eine Randsparte in großen Häusern. In der Kulturszene wird es eher wenig beachtet. Aber es hat im Gegensatz zum Erwachsenentheater einen großen Vorteil, der auch eine Chance bedeutet: Da häufig Schulklassen die Vorstellungen besuchen und bekanntlich alle Kinder zur Schule gehen (müssen), hat es tatsächlich ein sehr diverses Publikum – einen realen Querschnitt durch die Gesellschaft. Mahn fragt sich und ihre Gesprächspartner*innen in der Webvideo-Reihe, inwiefern das Kinder- und Jugendtheater divers ist, was Diversität im Kulturbetrieb überhaupt bedeutet – und wie sie erreicht und gefördert werden kann. Mit Blick auf Repräsentationskrisen der Demokratie haben Kinder- und Jugendtheater das Potenzial zur Eröffnung zivilgesellschaftlicher Diskurse.
Dass dabei divers besetzte Teams und Ensembles eine wichtige Rolle spielen, scheint klar zu sein. Was es aber für die konkrete Arbeit in einer Kultureinrichtung bedeutet, zum Beispiel Menschen mit Behinderung, People of Colour, Menschen mit verschiedensten Migrations- und Lebenserfahrungen zusammenzubringen, ist eine andere Frage.
Diversitätsentwicklung ist unbequem
Diversitätsentwicklung braucht viel Zeit und viel Austausch, und den echten Willen aller Beteiligten. Für Organisationen bedeutet dies zunächst einen wirklich kritischen Blick auf sich selbst und die Bereitschaft, strukturelle Veränderungen anzustoßen. Dazu gehört auch die Benennung von Machtstrukturen und Privilegien. Die Beteiligten müssen bereit sein, sich zu öffnen, sich gegebenenfalls ihrer eigenen Vorteile bewusst zu werden, und auch etwas zurückzutreten zugunsten anderer.
Mahn betont die Rolle der strukturellen Diskriminierung: Man müsse sich verdeutlichen, dass man niemals unbeteiligt sei. Als nicht-behinderter Mensch sei man zum Beispiel stets Teil einer Struktur, die Menschen mit Behinderung diskriminiere. Wir alle reproduzierten – häufig unbewusst – gelernte Verhaltensmuster und (Vor-)Urteile. Man könne sich jedoch fragen, was man als Person, die von bestimmten Normen und Strukturen profitiere, tun kann, um Diskriminierungen abzubauen. Die Performerin und Autorin Antigone Akgün formuliert es fordernder, sie meint, dass „Weiße Privilegierte“ aufhören sollten „sich auszuruhen“ und dass sie nicht die Wissenslücken aus der Vergangenheit reproduzieren, sondern sich stattdessen „mit wachem Geist Dinge vorstellen“ sollten.
»Das ist natürlich unbequem. Aber wir arbeiten ja im Kunst- und Kulturkontext. Da geht es um unbequem sein, da geht es um irritiert sein und gerade darum, das an sich ranzulassen.«
Denkbar und in manchen Häusern bereits umgesetzt sind doppelt besetzte Stellen und Leitungsfunktionen, in denen Menschen mit unterschiedlichen Lebens- und Erfahrungshintergründen sich ergänzen (z. B. Leitung der Bürgerbühne am Schauspiel Düsseldorf).
Wenn Menschen mit verschiedenen Sichtweisen, Erfahrungen und Machtpositionen zusammenkommen und zusammenarbeiten, entstehen Spannungen und Konflikte – und damit auch Emotionen. „Intensive Gefühle sind Voraussetzung für effektives Lernen“, davon ist Mahn überzeugt.
Fehlerfreundlichkeit ist wichtig
Viele Menschen haben Angst, Fehler zu machen und in Fettnäpfchen zu treten, auch und besonders im Umgang mit Menschen, die Gruppen angehören, die häufig diskriminiert werden. Dies birgt jedoch die Gefahr, dass sie sich von ihren Ängsten ausbremsen lassen und sich gar nicht trauen, überhaupt etwas zu fragen. Das wiederum ist mit Blick auf Diversitätsentwicklung erst recht falsch, denn Veränderung entsteht durch Austausch und dadurch, dass man voneinander lernt. „Man kann alles sagen und alles fragen, wenn man es mit einem ehrlichen Interesse und mit Feingefühl tut“, sagt der Schauspieler und Theaterpädagoge Benjamin Cromme in der zweiten Folge der Video-Reihe mit dem Titel „Fehlerfreundlichkeit“.
Die Videos sind niedrigschwellig produziert, die verschiedenen Personen berichten offen und persönlich von ihren Erfahrungen und Sichtweisen auf die Themen rund um Diskriminierung, Diversität, Privilegien, Veränderung von Strukturen und über Fettnäpfchen und Fehlerfreundlichkeit. Die Reihe wird fortgesetzt.
Weitere Informationen: https://kjtz.co/2021/09/16/videoreihe-bewusstsein-was-ist-diversitat/