Veränderung gestalten. Potenziale der Kultur(politik)
- 11. KupoBuko
Sind verschärfte Debatten um Ungleichheiten und Privilegien, um althergebrachte und neue Ansprüche auf Repräsentation und Macht Zeichen für Krisen in Kultur und Gesellschaft? Die Podiumsdiskussion „Kulturpolitik in der Krise des Allgemeinen“, die am 19. Mai 2021 als Abschlussveranstaltung der digitalen Reihe „No Future? Die Kunst des Aufbruchs“ der Kulturpolitischen Gesellschaft und der Bundeszentrale für politische Bildung stattfand, beschäftigte sich mit dieser Frage. Die Podiumsgäste waren sich darüber einig, dass diese vielfältigen Ansprüche, Stimmen und Perspektiven eher als Chance und Reichtum denn als Krisen betrachtet werden sollten. Sie diskutierten Wege und Methoden zur Transformation von Kulturorganisation und Kulturpolitik ebenso wie die Frage, wie in einer Zeit der zunehmenden Individualisierung oder Singularisierung der Gesellschaft etwas Verbindendes entstehen kann.
Die Videoaufzeichnung der digitalen Diskussion finden Sie hier.
Diverse gesellschaftliche Ansprüche fordern die Kultur(politik) heraus
Die Wahrnehmung der Gesellschaft in Deutschland hat sich in den vergangenen Jahrzehnten stark verändert, Prozesse der Digitalisierung, Globalisierung und Individualisierung spielen dabei eine wichtige Rolle. Die gesellschaftliche Vielfalt ist sichtbarer geworden, diverse Aspekte von Identitäten rücken in den Vordergrund. Es bilden sich vielfältige Teilöffentlichkeiten aus, und es kommt zu starken Ausdifferenzierungen, Lebenswelten liegen zum Teil weit auseinander. Auch von einer politischen Polarisierung oder von einer gespaltenen Gesellschaft ist die Rede. Aus dieser Perspektive lässt sich die derzeit kontrovers diskutierte Krise der Demokratie als Repräsentationskrise beschreiben.
Menschen und Gruppen, die zuvor wenig im Fokus standen, beanspruchen heute zunehmend Teilhabe. Sie wollen Verantwortung übernehmen und repräsentiert werden, auch im Kulturbereich, in den Medien und in der Politik. Dies führt zu Interessenskonflikten und teilweise emotionalen Debatten. Die Teilnehmenden des Panels sind sich weitgehend einig darin, dass viele Kulturinstitutionen in Deutschland diesen gesellschaftlichen Entwicklungen hinterherhinken, dass Teilhabe und Repräsentation vielfältiger gesellschaftlicher Gruppen und Interessen dort noch zu wünschen übrig lassen und es dringender Transformationen bedürfe.
»Es reichen nicht einzelne Menschen, die an bestimmten Positionen sichtbar sind. Wir brauchen Veränderungen, damit Institutionen für die Zukunft bereit sind.«
Eine Krise der Kultur(politik) sehen die Gesprächsteilnehmer*innen darin jedoch nicht unbedingt, sondern eher eine Herausforderung und Chance. Dass vielfach von einer Krise gesprochen wird, zeuge davon, dass die neuen Ansprüche und Forderungen von einigen Akteuren – meist in privilegierten Positionen – als Bedrohung wahrgenommen würden. Denn ja, es gehe um Macht, um Machtverteilung und auch um die Verteilung von Mitteln. Aber eben auch um die Zukunftsfähigkeit und Existenz der Institutionen – und um gesellschaftlichen Frieden. Die derzeitigen Aushandlungsprozesse seien wichtig, dafür brauche es aber neue Regeln des Miteinanders, auch und besonders in digitalen Räumen. Soziale Medien bieten einerseits große Chancen zur Vernetzung und Solidarisierung einzelner Akteur*innen, gleichzeitig aber auch Gefahren. Denn Shitstorms oder das Hervorheben einzelner Äußerungen oder Personen könnten ganze Existenzen vernichten, so Susanne Keuchel.
Wege zu einer Transformation der Institutionen: Diverse Mitarbeiter*innen und viel Kommunikation
Es brauche ein Ziel und ein Narrativ, wenn man eine Institution grundlegend verändern wolle, sagt die Präsidentin der Klassik Stiftung Weimar Ulrike Lorenz. Und natürlich brauche man die Menschen, man müsse verschiedene Perspektiven an einen Tisch bringen und viel Zeit in Kommunikation investieren. Ein Mix unterschiedlicher Methoden ist nötig. Denn es geht darum, Menschen dazu zu bewegen, Besitzstände loszulassen und Gewohnheiten zu verlassen, das fällt Vielen schwer.
Ein wichtiger Schritt in der Transformation von Kulturinstitutionen ist es, diverse Menschen auf allen Ebenen einzustellen. Um Nachwuchs aus allen Teilen der Gesellschaft zu gewinnen, reicht es jedoch nicht, sichtbare Vorbilder zu haben. Bezahlte Praktika können ein Weg sein, um junge Menschen aus ärmeren Familien nicht auszuschließen. Neue Mitarbeiter*innen mit diversen Hintergründen sollten empowert werden, damit sie im Alltag bestehen können, und die Kolleg*innen aus der sogenannten Mehrheitsgesellschaft müssen für Diversity-Themen sensibilisiert werden. Sheila Mysorekar betont, wie wichtig es sei, Netzwerke zu knüpfen und sich zusammenzuschließen. Die Neuen Deutschen Medienmacher*innen hätten dies erfolgreich getan und gemeinsam viel erreicht. Man sei nie ganz alleine, auch wenn man manchmal das Gefühl habe. Auch kreative Allianzen innerhalb und außerhalb der Einrichtungen sind nötig:
»In Institutionen müssen zivilgesellschaftliche Komplizenschaften entstehen. Man muss sich Hilfe holen, wo man sie herkriegt. Der Druck im System muss erhöht werden.«
Schaut man auf Leitungspositionen in deutschen Kulturinstitutionen, sieht es noch nicht besonders divers aus – selbst Frauen sind dort noch in der Unterzahl. Durch Strukturen des öffentlichen Dienstes und Besitzstandsdenken ist eine Transformation zu mehr Diversität auf dieser Ebene ein sehr schwerfälliges Unterfangen. Divers besetzte Findungskommissionen für Leitungspositionen, Doppelspitzen oder kollektive Leitungen, ein Rotationsprinzip für Leitungspositionen oder Runde Tische könnten Ansätze sein, um mehr Austausch, Teilhabe und (Selbst-)Reflexion in den Institutionen zu ermöglichen. Die Frage, ob eine Quotenregelung für mehr Diversität in den Institutionen sinnvoll sei, wird kontrovers diskutiert. Für eine Übergangsphase sei sie möglicherweise sinnvoll, man müsse aber vorsichtig sein, dabei nicht essenzialistisch zu argumentieren. Man darf also nicht erwarten oder davon ausgehen, dass bestimmte Gruppenzugehörigkeiten oder äußere Merkmale von Personen mit bestimmten Perspektiven verknüpft sind.
In Bezug auf das Publikum ist es wichtig, den Kanon zu erweitern und die Stadtgesellschaft oder einzelne Gruppen zum Beispiel als Expert*innen in die Programmplanung einzubeziehen.
Für diese Transformationsprozesse braucht es Druck von allen Seiten und die Unterstützung der Kulturpolitik. Die Diskussionsteilnehmenden plädieren für einen offenen Umgang mit Fehlern, aus denen man lernen könne: eine „fehlerfreundliche“ Debatten- und Führungskultur, bei der man die eigene Position stets mitreflektiert.
Kunst und Kultureinrichtungen haben Potenzial Veränderungen anzustoßen
Kultureinrichtungen können Anstöße für gesellschaftliche Veränderungen, für Bildungs- und Reflexionsprozesse geben. Dabei spielen Räume und Zugänge eine wichtige Rolle. Kulturinstitutionen können Dritte Orte für Begegnung und Austausch, auch für zivilisierten, aber durchaus leidenschaftlichen Streit sein. Darauf kann die Gestaltung der Gebäude und Räume positiven Einfluss nehmen. Bei Neu- und Umbauten gilt es, diese Offenheit und Zugänglichkeit mitzudenken. Bei altehrwürdigen, denkmalgeschützten Gebäuden ist es hingegen wichtig Barrieren abzubauen und die Häuser einem breiten Publikum zu öffnen. Ein Verzicht auf Eintrittsgelder ist ein möglicher Weg dafür. Ist es nicht seltsam, wenn einerseits der Besuch von öffentlich geförderten Kultureinrichtungen Geld kostet, und andererseits zeitlich befristete Projekte gefördert werden, die bestimmte Zielgruppen für Kunst und Kultur begeistern und in die Institutionen locken wollen? In anderen europäischen Ländern gibt es bereits Beispiele dafür, wie positiv es sich auswirken kann, wenn Museen keinen Eintritt kosten und wenn es zum Beispiel neben dem Café auch eine Picknick-Ecke gibt, wo Besucher*innen ihr selbst mitgebrachtes Essen verzehren können.
»Wir als Künstler*innen können mit künstlerischen Interventionen ‚Aha!‘-Momente schaffen, die etwas in Bewegung setzen können.«
Kunst bedeutet immer Perspektivwechsel, und sie kann zu nachhaltigen Reflexionsprozessen anregen – das ist ihr besonderes Potenzial. Was die Rolle der Politik in der Kunst betrifft, gehen die Meinungen der Podiumsgäste allerdings auseinander. Während Susanne Keuchel der Ansicht ist, dass Kunst nicht für politische Interessen vereinnahmt werden dürfe, findet Sheila Mysorekar Kunstprojekte, die gezielt emotionale Reaktionen auslösen, um auf politische Missstände aufmerksam zu machen, besonders spannend.
In Umkehrung des Veranstaltungstitels „No Future?“ wünschten sich die Teilnehmenden der Diskussion in ihren abschließenden Statements für die Zukunft eine gerechtere, fehlerfreundlichere, entspanntere Welt, in der künstlerische Freiheit mit Verantwortung zusammengedacht wird und in der gemeinsam kulturelle „Commons“ neu definiert werden.
Diskussionsteilnehmende:
Prof. Dr. Susanne Keuchel, Direktorin der Akademie der Kulturellen Bildung des Bundes und Präsidentin des Deutschen Kulturrates; Sheila Mysorekar, Vorsitzende der Neuen Deutschen Organisationen e.V. (ndo); Dr. Ulrike Lorenz, Präsidentin der Klassik Stiftung Weimar; Bassam Ghazi, Theaterpädagoge, Regisseur und Künstlerischer Leiter des Import Export Kollektivs am Schauspiel Köln (seit Sommer 2021 Co-Leitung des Stadt:Kollektivs am Düsseldorfer Schauspielhaus); Moderation: Prasanna Oommen