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Eintauchen in fremde und vergangene Welten. Museen und ihr Potenzial für die politische Bildung

 
9. Dezember 2021
  • 11. KupoBuko

Leonard Schmieding beantwortet für den Blog Kunst der Demokratie Fragen zur Motivation und zu den Potenzialen von Museen, Demokratie und gesellschaftlichen Zusammenhalt zu fördern. Er entwickelt gemeinsam mit Kolleg*innen im Haus Bastian – Zentrum für kulturelle Bildung der Staatlichen Museen zu Berlin (SMB) politische Bildungsangebote und stellt hier einige Beispiele aus seiner Praxis vor.

Schmieding versteht Museen nicht als geschlossene Institutionen, sondern als offene Diskursorte, an denen neue Synergien zwischen politischer, historischer und kultureller Bildung entstehen können, und in denen Raum ist für die Diskussion vielfältiger Themen.

Wie können Museen mit ihrer Bildungs- und Vermittlungsarbeit zur Förderung von Demokratie und gesellschaftlichem Zusammenhalt beitragen?

Leonard Schmieding: Zunächst einmal möchte ich darauf hinweisen, dass Museen mit ihren Praktiken des Sammelns, Bewahrens, Erforschens, Ausstellens und Vermittelns ein großes Potenzial für die politische Bildung besitzen: Denn anhand von Objekten und ihren Biografien können sich Museumsbesucher*innen mit der politisch sinnhaften Einrichtung und Aneignung von Welt auseinandersetzen. Das heißt, dass die Angebote der Bildung und Vermittlung im Museum die Besucher*innen dabei begleiten, die jeweilige Gewordenheit von Kulturen und Gesellschaften zu erkennen, dadurch neue – und besonders notwendig: globale – Perspektiven auf die eigene Gegenwart zu gewinnen und schließlich gemeinsam zu diskutieren, wie sie sich an gesellschaftlichen Veränderungsprozessen beteiligen können. Dabei ist es wichtig, die großen Fragen der Menschheitsgeschichte mit aktuellen Herausforderungen in Bezug zu setzen. Die in diesem Prozess entstehenden Perspektiven auf Probleme wie beispielsweise die soziale Gerechtigkeit beim Wohnen, die Verbesserung von Bildungschancen, die Diversifizierung der Gesellschaft, aber auch die Frage nach klimaverträglicher Energieversorgung und Mobilität lassen sich zurückführen auf die Frage: „Wie will ich in der Welt sein (und welche Welt will ich)?“ Diese Frage und die sich daran anschließende Erörterung des Selbst-Welt-Verhältnisses steht im Zentrum der politischen Bildung – und die Selbst-Bildung auf der Basis von Objekten aus der Kunst- und Kulturgeschichte damit im Zentrum einer politischen Bildung im Museum.

Was ist die Motivation von Museen als Kulturinstitutionen, Projekte und Programme zur politischen Bildung zu veranstalten?

Leonard Schmieding: Die Motivation ist vielfach gelagert. Sie ergibt sich aus dem eigenen Auftrag, gesellschaftliche Diskurse zu gestalten und zu begleiten; aus der Verantwortung, als Museum politisch zu wirken, sich dessen bewusst zu sein und entsprechend zu handeln; aus der Erkenntnis, ein großes Potenzial für die politische Bildung zu besitzen, das es gilt, auszuschöpfen – damit sich Museen zu Orten der Stärkung unseres gesellschaftlichen Zusammenhalts wandeln. Darüber hinaus ist unsere Motivation eng an den Auftrag gebunden, das Museum als „Zwilling der Schule“ noch besser mit Schulen zu vernetzen, um die Stärken der unterschiedlichen Lernumgebungen jeweils optimal für eine nachhaltige politische Bildung einzusetzen. Das Lernen im Museum funktioniert im Unterschied zur Schule auf der Grundlage von Objekten, ist dabei ortsbasiert und bietet eine immersive Erfahrung – Schüler*innen tauchen quasi in fremde und vergangene Welten ein, um ihr Erkenntnisinteresse zu befriedigen. Kurzum, das Museum braucht die politische Bildung, wie auch die politische Bildung das Museum braucht.

Wie sehen die Experimentierfelder für politische Bildungsarbeit im Haus Bastian und auf der Berliner Museumsinsel konkret aus? An wen richten sich die Angebote und was passiert dort?

Leonard Schmieding: Das Haus Bastian – Zentrum für kulturelle Bildung der Staatlichen Museen zu Berlin (SMB) setzt mit seiner Programmatik den Rahmen für unser Experimentieren. Es wurde Ende August 2019 eröffnet. Zur Zeit laufen dort vier Projekte, von denen eins die „Politische Bildung in Museen“ ist, finanziert von der Bundesbeauftragten für Kultur und Medien (BKM). Die Aufgabe meines Kollegen Christopher Förch und von mir ist es, zu erproben, was die Auseinandersetzung mit Objekten in kunst- und kulturhistorischen Museen zur politischen Bildung junger Menschen beitragen kann. Dabei arbeiten wir sammlungsübergreifend und konzentrieren uns in dieser Phase des Projekts auf die Häuser auf der gegenüberliegenden Museumsinsel – mit dem Ziel, unsere Erkenntnisse an die Kolleg*innen in den einzelnen Museen der SMB weiterzugeben. Wir entwickeln und organisieren Vermittlungsprogramme für Schulgruppen sowie Jugendliche im außerschulischen Kontext, führen sie durch und evaluieren sie. Außerdem bauen wir Netzwerke auf und erarbeiten eine Agenda zur Etablierung politischer Bildung im musealen Kontext in einem Arbeitskreis, der Expert*innen aus verschiedenen Arbeitsfeldern und Berufsgruppen zusammenbringt. Beide Bereiche sind eng miteinander verzahnt. So generieren wir Best Practices und Leitlinien für eine Professionalisierung von politischer Bildungsarbeit im Museum. Diese wiederum dienen als empirisch unterfütterte Grundlage für kulturpolitische Argumente, die sich für eine nachhaltige Förderung der Vernetzung von politischer und kultureller Bildung stark machen.

Ich möchte anhand von drei Beispielen verdeutlichen, wie wir experimentieren und welche Erkenntnisse wir für den Transfer von Praxiswissen über politische Bildung im Museum damit gewinnen.

Bildungsprogramm zur Germanen-Ausstellung

Für die Ausstellung „Germanen. Eine Archäologische Bestandsaufnahme“, die vom 18. September 2020 bis zum 14. März 2021 im Museum für Vor- und Frühgeschichte zu sehen war, erarbeiteten wir ein umfangreiches Bildungsprogramm, das aus einem Schulprojekttag, didaktischem Material, einer Videoreihe und einem Podcast bestand. Ziel der Ausstellung war es, dem Publikum die neuesten Erkenntnisse aus der archäologischen Forschung zu Germanen näherzubringen. Das nahmen wir als Anlass, die Produktion von Geschichtsbildern in Wissenschaft und Gesellschaft zum Thema unseres Angebots zu machen und uns dabei auf die Rolle von Archäologie, Geschichte und Museen zu konzentrieren. Insbesondere die Teilnehmer*innen des Projekttags „Kann Spuren von Rechts(populismus) enthalten. Zwischen modernen Mythen und radikalen Vereinnahmungen“ lernten, Geschichtsbilder zu dekonstruieren und setzten sich mit der Vereinnahmung von Archäologie, Geschichte und Museen durch die extreme Rechte und Rechtspopulisten auseinander. Dazu nutzten sie nicht nur die Objekte in der Ausstellung, sondern auch das Neue Museum selbst als Raum, der mit dem sogenannten Vaterländischen Saal aus dem 19. Jahrhundert eine einzigartige Quelle für die Untersuchung der Schnittstelle von Museum, Gesellschaft und der Bedeutung von Geschichtsbildern zur Verfügung stellt.

Unser Experimentieren bestand vor allem darin, die Projekttage von einem Tandem durchführen zu lassen: eine Guide brachte das archäologische Fachwissen zur Ausstellung mit, die andere die Inhalte und Methoden der politischen Bildung. Auf diese Weise entstand eine produktive Mischung an Impulsen, die den Schülerinnen dabei half, die Ausstellungsobjekte und das Museum mit den Beobachtungen und Erfahrungen aus ihrem eigenen Alltag zu verknüpfen. Darüber hinaus entwickelten die Teilnehmer*innen einen analytischen Blick für Geschichtsbilder, von denen sie umgeben sind, sowie für die immer wieder erfolgende politische Inanspruchnahme und Instrumentalisierung von Wissenschaft und Museen.

Projekttag „Sklaverei in der Antike“

Der Projekttag „Sklaverei in der Antike. Annäherungen an damals, Auswirkungen auf heute“ entstand in enger Absprache mit der Berliner Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie. Die Kolleg*innen in der Fachaufsicht für die gesellschaftswissenschaftlichen Fächer kamen mit der Idee auf uns zu, weil „Sklaverei in der Antike“ als ein Thema für das Zentralabitur in Berlin gesetzt worden war, es dazu aber nur sehr wenige Unterrichtsmaterialien gibt. Bei der Konzipierung des Projekttags – wie auch einer begleitenden Fortbildung für Lehrer*innen – orientierten wir uns deshalb einerseits am Lehrplan und der Prüfungsrelevanz und andererseits natürlich an unserem Auftrag, aus dem Museum heraus Angebote der politischen Bildung zu gestalten.

Auch hier entschieden wir uns für ein Tandem, denn das Interpretieren der antiken Bildkunst, das für die Untersuchung der damaligen Praktiken der Sklaverei notwendig ist, bedarf einer fachwissenschaftlichen Perspektive, während die Auseinandersetzung mit Sklaverei heute Methoden der politischen Bildung benötigt. Der Projekttag erfährt eine große Nachfrage; dies erlaubt es uns, die Aktionsformen fortwährend weiterzuentwickeln und auch immer mehr künstlerische Ansätze auszuprobieren. Auf diese Weise entstehen hier im Haus Bastian museumsspezifische Methoden für die politische Bildung – Methoden, die wir in eine weitere Professionalisierung der politischen Bildung einbringen.

Projekttag Kolonialismus und Körperkultur

Das dritte und letzte Beispiel ist das größte Experiment: eine Schüler*innen-AG entwickelt zurzeit einen Projekttag zum Thema „Kolonialismus und Körperkultur“, der ab Februar 2022 unser Angebot ergänzen wird. Dieses co-kreative Prototyping findet in Kooperation mit dem Entwicklungspolitischen Bildungs- und Informationszentrum e.V. – EPIZ-Berlin statt. Ziel ist es, globales Lernen und politische Bildung im Museum zusammenzubringen; und so arbeitet eine Vermittlerin aus unserem Team zusammen mit einem EPIZ-Mitarbeiter daran, die Schüler*innen in ihrem Prozess zu begleiten.

Im Unterschied zu den ersten beiden Beispielen beziehen wir hier Schüler*innen als Gestalter*innen ihrer eigenen Lernumgebung ein, geben ihnen Zeit, Methoden der Peer-Education zu entwickeln und öffnen uns durch die Zusammenarbeit mit dem EPIZ für die Interessen und Belange unterschiedlicher gesellschaftlicher Gruppen. Wir sind gespannt auf das Ergebnis dieses Experiments.

Weitere Informationen:

Website des Haus Bastian – Zentrum für kulturelle Bildung der Staatlichen Museen zu Berlin

Beitrag im Infodienst Radikalisierungsprävention der bpb:  Was können Museen als Kulturinstitutionen zu Extremismusprävention beitragen?, basierend auf einem Webtalk im Juni 2021.



Dr. Leonard Schmieding

Dr. Leonard Schmieding ist Historiker und wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Abteilung Bildung und Vermittlung der Staatlichen Museen zu Berlin. Dort ist er am Haus Bastian – Zentrum für kulturelle Bildung für die Netzwerkarbeit und den Arbeitskreis »Kultur, Politik und Bildung« verantwortlich, mit dessen Expert*innen er eine Agenda zur Etablierung politischer Bildung in Museen erarbeitet.