Lade ...

Neonazis auf der Vernissage. Der Zwickauer Kunstverein im Visier von Rechtsextremen

 
30. November 2021
  • 11. KupoBuko

Es ist der 8. Oktober 2021, die Ausstellung „Fast noch Zeit“ des Fotografen Thomas Florschuetz wird um 18.30 Uhr im Kunstverein Freunde Aktueller Kunst in Zwickau eröffnet. Pünktlich erscheinen vor der Galerie in der Hauptstraße einige Leute, die nicht unbedingt Fans der zeitgenössischen Kunst sind. Laut dem Vereinsvorsitzenden Klaus Fischer sind sie dem „sehr, sehr rechten Spektrum Zwickaus zuzurechnen“. Sie verbreiten lautstark ihre Parolen, zeigen provokante Transparente und kommen ganz nah an die Fensterscheiben der Galerie heran, filmen und fotografieren die Vernissage und ihre Gäste. Schließlich werden sie von der herbeigerufenen Polizei aufgefordert zu gehen.

Für die Freunde Aktueller Kunst ist dies nicht der erste Vorfall dieser Art – und keineswegs ein Einzelfall. Regelmäßig montags und freitags erhalten sie Besuch von Neonazis, berichtet Klaus Fischer im Interview mit dem MDR. Verlässlich zu den Ausstellungseröffnungen versammeln sich Rechtsextreme vor der Galerie. Im Juli 2021 zur Vernissage einer Ausstellung mit Arbeiten von Pipilotti Rist und anderen Künstler*innen habe es „mit 20 Leuten direkt vor unserem Kunstverein richtig Randale“ gegeben, so Fischer.

Was stört die Rechtsextremen an der Kunst?

Zu den Forderungen der Protestierenden in Zwickau gehört, dass der Kunstverein keine öffentlichen Fördermittel mehr erhalten solle, weil er „keine völkische Kunst“ zeige, sagt Klaus Fischer. Anlässlich einer Ausstellung mit Werken von Leipziger Künstlerinnen mit teils migrantisch klingenden Namen hätten Rechtsextreme gerufen: „Dies ist eine deutsche Galerie, warum stellen die Ausländerinnen aus, das werden wir ändern!“, berichtet Klaus Fischer. Dabei scheinen die Störer*innen genau zu wissen, wo bestimmte rechtliche Grenzen bestehen – in den Ausstellungsraum eingedrungen sind sie bisher noch nicht. Der Versuch, Orte der Kunst zu vereinnahmen und umzudeuten, gehört zur Kulturstrategie von Rechtsextremen und Rechtspopulisten: Abseits der Straße und der Parlamente werden Kulturinstitutionen zunehmend als politische Bühne missbraucht. Dass politische Konflikte immer stärker im vorpolitischen Kulturfeld ausgetragen werden, nutzen Rechtsextreme für die Inszenierung eines eigenen Bilderstreits. Das Ästhetische wird für die eigene Ideologie instrumentalisiert, es droht eine Beschneidung der Kunstfreiheit.

Reaktionen des Kunstvereins

Zu Eröffnungen postiert der Kunstverein inzwischen Ordner am Eingang, um das Eindringen von störenden Personen zu verhindern. Für ihre Mitglieder führen die Freunde Aktueller Kunst Workshops zum Verhalten gegenüber Rechtsextremen durch.

»Man muss sie vermutlich, so gut es geht, links liegenlassen und ignorieren.«
Platzhalter Portrait
Klaus Fischer, Vorsitzender Kunstverein Freunde Aktueller Kunst e.V.

Fischer geht davon aus, dass man die Rechtsextremen nicht loswerde. Man müsse versuchen, gelassen mit der Sache umzugehen. Medienberichten zufolge sind in Zwickau nicht nur Kulturinstitutionen, sondern auch Politiker*innen oder jugendliche Klimaaktivist*innen von Fridays for Future Opfer rechtsmotivierter Angriffe. Laut Recherchen des MDR gehen die Anfeindungen häufig von Anhängern der rechtsextremen Gruppierung „Junge Revolution“ aus.

Unglücklich und fassungslos ist Klaus Fischer über die mangelnde Unterstützung der Stadtspitze, die die rechtsextreme Bedrohungslage verharmlose und kaum gesprächsbereit sei, um gemeinsam dem massiven Imageeinbruch Zwickaus entgegenzutreten.

Solidarität gegen Bedrohung der Kunstfreiheit

Die Freunde Aktueller Kunst erhalten Unterstützung von vielen Seiten der demokratischen Zivilgesellschaft, unter anderem vom Dachverband Arbeitsgemeinschaft Deutscher Kunstvereine (ADKV). In einem Brief vom 11.11.2021, den der Kunstverein auf seiner Webseite veröffentlicht, bekundet der Verbandsvorstand die uneingeschränkte Solidarität gegenüber Anfeindungen von rechts.

»Schließlich drohen rechtsextreme und demokratiefeindliche Kräfte nicht nur in Zwickau, sondern im ganzen Land die Freiheit der Kunst zu gefährden. Vor allem die Kunstvereine in kleineren Städten stehen diesbezüglich unter einem besonderen Druck.«
Platzhalter Portrait
Arbeitsgemeinschaft Deutscher Kunstvereine (ADKV)

Kein Einzelfall

Der Kunstverein in Zwickau ist nur ein Beispiel für viele Kultureinrichtungen, die Anfeindungen durch rechtspopulistische und rechtsextreme Akteure erfahren. Neben der Forderung, mehr „deutsche“ Kunst und Kultur zu präsentieren und die Ideologie eines homogenen deutschen Kulturkreises zu transportieren, geht es häufig auch um Forderungen nach politischer „Neutralität“ und darum, die öffentliche Förderung der Kulturarbeit radikal infrage zu stellen.

Dazu gab es im Rahmen der digitalen Veranstaltungsreihe Die Kunst des Aufbruchs am 4. Mai 2021 den Webtalk Was darf die Kunst? Das Neutralitätsgebot und seine Folgen“. Torsten Wiegel, Vorsitzender des Landesverbandes Soziokultur Sachsen e. V. berichtet darin vom Druck, den die AfD auf soziokulturelle Einrichtungen in Sachsen ausübt und von Unsicherheiten kommunaler Verwaltungen im Umgang damit. Friedhelm Hufen, Professor für Öffentliches Recht, Staats- und Verwaltungsrecht und Mitglied des Verfassungsgerichtshofs Rheinland-Pfalz a. D. stellt den rechtlichen Rahmen rund um ein (vermeintliches) Neutralitätsgebot für Kulturinstitutionen dar. Silke Thomas, Geschäftsführerin des Kulturzentrums KASCH in Achim bei Bremen berichtet gemeinsam mit dem Rechtsanwalt Heinz Föllenbach von ihrem Rechtsstreit mit der AfD.

Die Zitate stammen aus einem Interview mit MDR Kultur: Neonazis bedrohen Zwickauer Kunstverein: „Es ist verheerend“

Bericht im MDR Sachsenspiegel: Kunstverein Opfer von Rechtsextremismus vom 25.11.2021 (Zugriff: 29.11.2021)

Zur Webseite des Kunstvereins Freunde Aktueller Kunst e. V.