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Kultur ist kein Luxusgut. Die Kulturstaatsministerin Claudia Roth im Interview

 
29. Juni 2022
  • 11. KupoBuko

Sehr geehrte Frau Roth, Sie beschreiben sich selbst als parteiisch für die Kultur. Was genau verstehen Sie darunter?

Kulturpolitikerinnen und Kulturpolitiker sollten mit Leidenschaft parteiisch sein – für die Bedeutung von Kultur in unserer Gesellschaft. Wie wichtig die Kultur für unser Menschsein und unser Zusammenleben ist, das hat uns die Pandemie ganz deutlich vor Augen geführt. Wir alle haben gemerkt, was uns fehlt, wenn die Museen, Kinos und Clubs geschlossen sind, wenn es keine Konzerte, Lesungen und Festivals mehr gibt. Kultur ist eben kein Luxusgut, sondern Lebenselixier für unsere Demokratie. Deshalb werde ich wie eine Löwin dafür kämpfen, dass Kunst und Kultur die Freiräume erhalten, die sie in unserer Gesellschaft brauchen.

Was verbinden Sie mit dem Amt der Kulturstaatsministerin, welche Ziele wollen Sie in dieser Funktion erreichen?

Als ich dieses Amt angetreten bin, hätte ich mir nur in meinen schlimmsten Alpträumen vorstellen können, dass es nur zwei Monate später einen Krieg in Europa geben würde. Einen Angriffskrieg, bei dem Menschen vergewaltigt und auf bestialische Weise getötet werden, bei dem Menschen hungern und fliehen müssen, bei dem Familien zerrissen und Existenzen zerstört werden. Die Folgen dieses Krieges sind von einem auf den anderen Tag zum wichtigsten Schwerpunkt meiner Arbeit geworden. Und hier gibt es viel zu tun: Zum einen setzen wir uns dafür ein, ukrainische Kulturschätze und Kulturorte zu schützen. Deshalb haben wir zum Beispiel zusammen mit dem Auswärtigen Amt das Netzwerk Kulturgutschutz Ukraine ins Leben gerufen. Zum anderen unterstützen wir mit verschiedenen Maßnahmen Kultur- und Medienschaffende aus der Ukraine, aber auch aus Belarus und Russland – unter anderem durch eine Million Euro Soforthilfe für geflüchtete Medienschaffende. Weitere Maßnahmen sind in Planung, dafür hat das Bundeskabinett im Entwurf für den Ergänzungshaushalt rund 20 Millionen Euro vorgesehen.

Welche weiteren Ziele haben Sie?

Auch die Folgen von Corona werden ein Schwerpunkt meiner Arbeit bleiben. Denn die Pandemie ist ja leider noch nicht vorbei. Mein Ziel dabei ist, dass durch Corona schlichtweg keine Kultur verloren geht. Bislang ist uns das in Deutschland ja in Hinblick auf die Kultureinrichtungen auch ganz gut geglückt – mit zwei großen Ausnahmen: die freie Szene und die Soloselbständigen wurden durch die Pandemie wirklich sehr schlimm getroffen. Corona hat uns schmerzhaft vor Augen geführt, dass wir die soziale Lage der Soloselbständigen verbessern müssen, auch das ist ein Ziel meiner Amtszeit.

Ein weiterer Schwerpunkt wird die Erinnerungskultur sein. Mir geht es um Erinnern in die Zukunft, um die Stärkung unserer Demokratie. Denn durch das Wissen über unsere Vergangenheit können wir für die Gegenwart und die Zukunft lernen und gegen Antisemitismus, Rassismus und Menschenfeindlichkeit einstehen. In diesem Zusammenhang ist es mir auch wichtig, die Erinnerungskultur um Perspektiven der Einwanderungsgesellschaft und um das Thema Kolonialismus zu erweitern.

Ein weiteres Herzensanliegen ist für mich das Thema Diversität. Hier gibt es im Kulturbereich noch deutlich Luft nach oben. Auch Frauen sind in den Jurys und Leitungspositionen des Kulturbereichs deutlich unterrepräsentiert. Und der Gender Pay Gap ist in der Kultur sogar höher als in manch anderen Wirtschaftszweigen, zudem gibt es ein massives Sexismus-Problem. Mein Ziel besteht daher darin, dass unsere vielfältige und bunte Gesellschaft im Kulturbereich angemessen repräsentiert wird.

Nicht zuletzt wird der Klimaschutz ein sehr wichtiger Schwerpunkt meiner Arbeit sein. Die Klimakrise ist die Überlebensfrage der Menschheit. Gerade die Kultur muss hier mit gutem Beispiel vorangehen.

Sie eröffneten im Juni unseren 11. Kulturpolitischen Bundeskongress zur »Kunst der Demokratie« mit einem Grußwort. Sie betonen immer wieder die Bedeutung von Kultur für die Demokratie. In welchem Verhältnis stehen diese beiden Bereiche aus Ihrer Sicht? Wie kann Kultur dazu beitragen, den aktuellen Krisen der Demokratie zu begegnen und die Demokratie zu schützen oder zu stärken?

Die Kunstfreiheit und die Pressefreiheit sind der Lackmustest für jede Demokratie weltweit. Genau deshalb sind Kultur- und Medienschaffende meistens unter den ersten, die verfolgt und unterdrückt werden, wenn sich ein Land in eine Diktatur verwandelt. Im Umkehrschluss bedeutet das: Jede Stärkung von Kunst und Kultur ist auch eine Stärkung der Demokratie.

Kultur und Demokratie sind untrennbar miteinander verbunden, eine demokratische Gesellschaft kann ohne Kultur schlichtweg nicht gelingen. Kulturpolitik ist insofern immer auch Gesellschaftspolitik und Demokratiepolitik. Aus diesem Grund verstehe ich mich als Kulturstaatsministerin der Demokratie und als Kulturstaatsministerin für die Demokratie.

Die Kultur leidet derzeit besonders unter den Folgen der Corona-Pandemie, das ist auch aus Sicht einer funktionierenden Demokratie problematisch. Wie wollen sie die Auswirkungen der Krise abmildern und was wird aus den NEUSTART-Programmen?

Durch die Corona-Hilfen des Bundes konnten die schlimmsten Folgen für die Kultur abgefedert werden. NEUSTART KULTUR hat sich als sehr wirksam erwiesen, die 74 Einzelprogramme leisten weiterhin passgenaue Unterstützung. Auch der Sonderfonds des Bundes für Kulturveranstaltungen ist für die Kulturszene nach wie vor wichtig. Denn dadurch haben wir den Veranstalterinnen und Veranstaltern das gegeben, was sie in dieser unvorhersehbaren Lage so dringend brauchen: Planungssicherheit. Aktuell laufen unsere Programme noch bis Ende des Jahres. Wir werden also auch in den nächsten Monaten die Kultureinrichtungen beim Umgang mit den Folgen von Corona tatkräftig unterstützen. Und ich werde auch in Zukunft dafür kämpfen, dass weiterhin kulturgerechte Maßnahmen ergriffen werden.

Die soziale Lage der Künstler*innen war auch vor Corona schon ein Problem. Wie kann die ökonomische Situation freier Kulturmacher*innen verbessert werden?

Künstlerinnen und Künstler müssen von ihrer Arbeit leben können – und es ist die Aufgabe der Kulturpolitik, genau dafür die Rahmenbedingungen zu setzen. Daher besteht eines meiner wichtigsten Ziele darin, die soziale Lage der Soloselbstständigen nachhaltig und strukturell zu verbessern. Das betrifft vor allem die gesetzlichen Regelungen zur Sozialversicherung, aber auch das Urheberrecht. Zu den sozialpolitischen Maßnahmen sind wir im engen Austausch mit dem federführenden Bundesministerium für Arbeit und Soziales. Darüber hinaus müssen wir in der Politik uns dafür einsetzen, die Einkommenssituation der Kreativen zu verbessern. Deshalb haben wir uns auch vorgenommen, Honoraruntergrenzen in den Förderrichtlinien des Bundes einzuführen. Derzeit prüfen wir die Einzelheiten der Umsetzung. Und ich hoffe sehr, dass wir hier uns mit Ländern und Kommunen auf ein gemeinsames Vorgehen verständigen können – denn sie leisten ja den Bärenanteil bei der staatlichen Kulturförderung.

Sie engagieren sich zusätzlich auch für mehr Klimagerechtigkeit im Kulturbereich. Wie wollen Sie dieses Ziel erreichen? Werden Sie eine Kontaktstelle für Fragen von Klima und Nachhaltigkeit einrichten?

Diese Bundesregierung ist eine echte Klimaregierung. Das Thema Klimaschutz betrifft daher alle Ressorts. Und auch im Kulturbereich gibt es noch sehr viel zu tun. Daher habe ich in meinem Haus ein Referat für »Kultur und Nachhaltigkeit« eingerichtet. Und wir werden auch einen »Green Culture Desk« schaffen – also eine zentrale Anlaufstelle, die für Wissenstransfer sorgt und Best-Practice-Beispiele gibt. Denn schon jetzt zeigen viele Kultureinrichtungen und Akteurinnen und Akteure mit innovativen Ideen, wie eine nachhaltige Produktion und Präsentation von Kunst und Kultur aussehen kann. Zudem werden wir gemeinsam mit dem Bauministerium und in Abstimmung mit weiteren Ressorts konkrete Anforderungen für die Nachhaltigkeit von Kulturgebäuden erarbeiten. Darüber hinaus brauchen wir in Kunst und Kultur auch eine stärkere inhaltliche Auseinandersetzung mit den Themen Nachhaltigkeit und Klimakrise. Aus diesem Grund werden wir auch Fördermittel für eine entsprechende Programmgestaltung zur Verfügung stellen.

*Die Fragen für die Redaktion der Kulturpolitischen Mitteilungen stellte Dr. Henning Mohr.

Claudia Roth MdB

Claudia Roth MdB ist seit Dezember 2021 Staatsministerin für Kultur und Medien. Zuvor war sie von 2013 bis 2021 Vizepräsidentin des Deutschen Bundestags. Von 1989 bis 1998 war sie Abgeordnete im Europäischen Parlament. Seit 1998 ist sie Mitglied des Deutschen Bundestages für Bündnis 90/Die Grünen, deren Parteivorsitzende sie von 2001 bis 2002 und von 2004 bis 2013 war.
Von 1998 bis 2001 war sie Vorsitzende des Ausschusses für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe, zwischen 2003 und 2004 Beauftragte der Bundesregierung für Menschenrechtspolitik und Humanitäre Hilfe im Auswärtigen Amt.
Ihre beruflichen Anfänge machte Roth in der Kulturbranche, erst als Dramaturgie-Assistentin, dann als Dramaturgin in Dortmund und Unna. Von 1982 bis 1985 war sie Managerin der Band »Ton Steine Scherben« um Rio Reiser.