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„Es geht um gelebte Anerkennung“. Politische Bildung im Museum für Islamische Kunst

 
11. Januar 2022
  • 11. KupoBuko

Roman Singendonk ist wissenschaftlicher Mitarbeiter und Kurator am Museum für Islamische Kunst in Berlin. Dort leitet er ein partizipatives Projekt mit Moscheen und verantwortet das „MuseumsLab“. Im Interview spricht er über Bildungsprojekte, die mit Objekten aus islamisch geprägten Ländern Empowerment fördern.

In gegenwärtigen Debatten werden Migration und kulturelle Vielfalt häufig mit Konflikten und Problemen in Verbindung gebracht. Wie trägt das Museum für Islamische Kunst mit seinen Bildungsprojekten dazu bei, Pluralismus ins positive Licht zu rücken?

Roman Singendonk: Wir zeigen Transkulturalität und Migration als menschlichen Normalzustand, als Jahrtausende alten Modus Operandi und Antrieb für Innovation und Fortschritt. Das haben wir uns nicht ausgedacht, sondern es kann aus der Sammlung und ihren Objekten wissenschaftlich abgeleitet werden. Die kunsthistorische Forschung wird durch die Vermittlungspraxis in einen neuen gesellschaftlichen Zusammenhang gestellt. Es wird gezeigt, dass Migration – von den Objekten selbst, den Gegenständen, Fertigungstechniken, von Wissen oder von Menschen – etwas ist, das die Menschheitsgeschichte von der Frühzeit an charakterisiert hat.

Könnten Sie Ihre Ansätze an Beispielen verdeutlichen?

Im Projekt „TAMAM“ haben wir mit zahlreichen Moscheegemeinden in Berlin und Osnabrück zusammengearbeitet und gemeinsam Unterrichtsmaterialien erstellt. Es sollte nicht – wie sonst oft üblich – Unterrichtsmaterial vom Museum entwickelt und dann zur Verfügung gestellt werden, sondern es ging darum, wirklich schon bei der Konzeption und Entwicklung kooperativ zusammenzuarbeiten. Wenn Vertreter*innen von Moscheen vermittelt bekommen, dass sie von einer öffentlichen Bildungseinrichtung als Ansprechpersonen ernst genommen werden, dann wird das unserer Erfahrung nach sehr positiv aufgenommen und stärkt möglicherweise sogar ihre Einbindung in gesellschaftliche Prozesse und ihr Zugehörigkeitsgefühl. Zudem wirken die Inhalte des Unterrichtsmaterials einer essentialistischen Vorstellung von Kultur entgegen. Sie vermitteln im Gegenteil Beispiele dafür, dass es historisch gesehen, Austausch und Begegnung waren, die kulturelle, wirtschaftliche und wissenschaftliche Fortschritte ermöglichten.

Wir haben zum Beispiel die Objekte selbst und auch die Themen und Fragestellungen, die anhand der Objekte besprochen werden sollen, gemeinsam ausgewählt. So sind 21 neue Übungen für die kulturelle Bildung in Moscheegemeinden entstanden, die zum Großteil auch in Schulen eingesetzt werden können. In den Materialien werden keine einfachen Antworten auf komplizierte Fragen gegeben, sondern die Teilnehmenden werden dazu angeregt, sich eine eigene Meinung zu bilden und diese dann gut begründet zu vertreten. Es ist wichtig, hier Wissenshierarchien aufzubrechen. Uns geht es weniger um die Vermittlung von Expert*innenwissen als um den Austausch und die Anerkennung und Wertschätzung von Perspektiven, die nicht aus dem hiesigen akademischen Umfeld kommen.

Auf welche Objekte gehen Sie in den Bildungsmaterialien ein?

Ausgangspunkt des Unterrichtsmaterials ist die Sammlung des Museums für Islamische Kunst und damit eine ganze Vielzahl von Objekten verschiedener Epochen, Materialgruppen und Herkunftsregionen. Im Museum wird deutlich, dass die Künste und Kulturen der islamisch geprägten Länder und West- und Mitteleuropas untrennbar miteinander verwoben sind. Und auch die Region des Nahen und Mittleren Ostens selbst ist historisch durch eine hohe religiöse, kulturelle und ethnische Vielfalt und durch die Fähigkeit, mit dieser Vielfalt umzugehen, geprägt. Diese Verknüpfungen sind direkt an den Objekten der Sammlung ablesbar. Das ist ein guter Startpunkt, um transregionale kulturhistorische und migrationsgeschichtliche Prozesse der Vergangenheit und den konstruktiven Geist der Kunstgeschichte in aktuelle gesellschaftliche Prozesse zu übertragen. Die Fragen sind: Kann der Blick in die Vergangenheit bei der Gestaltung der Zukunft helfen? Stimmen die Bilder, die wir uns von uns selbst und von anderen machen, eigentlich mit der (Kunst-) Geschichte überein, oder sollten Identitätsbilder neu gedacht werden?

Wie erreichen Sie jene Menschen, die sonst nicht unbedingt ins Museum gehen?

Das „TAMAM-Projekt“ bindet die Moscheen als Bildungsstätten mit ein. Der Unterricht befasst sich zwar mit den Objekten, die im Museum zu finden sind. Er findet selbst aber in der Moschee statt. So gesehen kommt das Museum in die Moschee. Dort findet es dann vielleicht auch Menschen, die nicht ohne Weiteres ins Museum gekommen wären. Das gilt umso mehr, als dass das Projekt bundesweit aktiv ist und damit auch Menschen erreicht, in deren Region es gar kein Museum für Islamische Kunst gibt. Und es geht auch nicht ausschließlich um das Museum als Ort, der von Menschen physisch betreten wird – oder eben nicht. Im Outreach-Bereich, in Projekten außerhalb des Museums, können Sie vieles machen. Wenn Sie dabei aber dieselben Formulierungen verwenden und Themen behandeln wie innerhalb des Museums, dann kann es sein, dass Sie die Ausschlüsse nicht überwinden, sondern fortschreiben. Bei „TAMAM“ wurde daher co-kreativ gearbeitet, und die Fragestellungen des Unterrichtsmaterials wurden beispielsweise von den Teilnehmenden selbst festgelegt. Auf diese Weise haben Themen Eingang gefunden, die von der Interessengruppe selbst formuliert wurden, anstatt dass Mitarbeitende des Museums versuchen, sich in diese Gruppe hineinzuversetzen. Letzteres geht meistens schief.

Welches Potenzial steckt in Museen und Kulturinstitutionen für die politische Bildung und für die Förderung der Demokratie?

Die kulturell-politische Bildung, in der es um die Auseinandersetzung mit Objekten aus islamisch geprägten Ländern geht, hat große Vorteile: Auf der einen Seite ist es so, dass diejenigen Schüler*innen, die einen eigenen familiären Bezug zum Islam und zu diesem geografischen Raum haben, auf einmal mit einem Inhalt, mit einem Gegenstand in Berührung kommen, der sie persönlich betrifft und der in ihren Bildungsangeboten bisher höchstwahrscheinlich nicht vorgekommen ist.

Implizit wird durch die Lehrpläne immer so ein bisschen vermittelt: Dieser Raum der Welt hat eigentlich zur Menschheitsgeschichte, zum geistigen und kulturellen Fortschritt der Gegenwart nicht wirklich etwas Bedeutendes beigetragen. Was in der Schule im Vordergrund steht, ist ein west- und zentraleuropäischer, ein eurozentrischer Blick auf die Menschheitsgeschichte. Bei diesem Bildungsprojekt können die Schüler*innen mit muslimischen Bezügen auf einmal an Narrative anknüpfen, die sie vielleicht aus der Familie kennen, sie können gegebenenfalls ein Wissen mit einbringen, das andere Schüler*innen nicht haben, und werden möglicherweise zu Expert*innen – und das hat einen großen Empowerment-Effekt. Es geht um gelebte Anerkennung und darum, ein ausgleichendes Weltbild zu befördern.

Bei den Schüler*innen, die keine biografischen Bezüge zu islamisch geprägten Ländern haben oder die sozusagen einer privilegierteren „Mehrheitsgesellschaft“ angehören, können Sie ein Verständnis dafür wecken, dass Privilegien vererbt werden, dass viel vom Glück oder Pech der Geburt oder des Geburtsortes abhängt und vielleicht auch, wie Rassismus und Diskriminierung funktionieren und wie sie aktiv verlernt werden können.

Das Interview entstand im Rahmen der Auswertung der Webtalk-Reihe „Islamistische und rassistische Anschläge – ein Thema für Schule und Unterricht?“ – einer Kooperationsveranstaltung von bpb, Museum für Islamische Kunst, ufuq.de, Bildungsstätte Anne Frank und Georg-Eckert-Institut – Leibniz Institut für internationale Schulbuchforschung.

Weitere Informationen:

Projektwebseite mit Unterrichtsmaterialien: https://tamam-projekt.de  

Kurzvideo über das TAMAM-Projekt

Digitale Führung durch das Museum für Islamische Kunst mit dem TAMAM-Projekt:  

TAMAM-App: Kostenlos im App-Store Ihrer Wahl

Instagram: @tamam_projekt

Facebook: Tamam Projekt

Roman Singendonk

Roman Singendonk ist wissenschaftlicher Mitarbeiter und Kurator am Museum für Islamische Kunst, wo er die partizipative Museumspraxis stärkt und dazu auch ein MuseumsLab einrichtete.  Singendonk ist Arabist sowie Islam- und Politikwissenschaftler. Von 2015-2018 war er Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Islamische Theologie der Universität Osnabrück und dort u. a. zuständig für die Imamweiterbildung.